Am Tag nach dem Trip ist der Psychiatrieprofessor Gregor Hasler erst einmal erschöpft. Dabei hat nicht er die psychedelische Droge LSD eingenommen, sondern nur einer seiner Probanden. Aber es dauert eben zwölf Stunden, bis diese Person durch Sinnesillusionen, emotionale Rückschauen, Phasen des Einsseins und der Einsamkeit hindurchgereist ist. Der Trip verläuft keineswegs nur euphorisch. Als furchterregendste Erfahrung ihres Lebens beschrieben Patient:innen die psychedelische Psychotherapie gegenüber Matthew Johnson, dem Erfinder des Konzepts von der Johns Hopkins University. Der Therapeut begleite die Patient:innen „durch die Hölle und wieder zurück“, sagte dieser auf einer Fachkonferenz 2021.
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„Das will man nicht gleich wieder haben“, bekräftigt Hasler von der Universität Freiburg in der Schweiz. „Mir reicht das einmal pro Woche, weil meine Betreuer oder ich ja bei der Person bleiben müssen.“ Vielleicht muss er den Betroffenen im Rausch aus der liegenden Position aufsetzen, wenn er doch etwas zu viel Angst bekommt. Vielleicht will er im entscheidenden Moment mit ihm reden, wenn er auf traumatische frühere Ereignisse zu sprechen kommt. Denn der Trip ist Therapie.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 2/2023 von MIT Technology Review erschienen. Darin setzen wir uns mit dem Thema Achtsamkeit auseinander: Wie kann Technologie helfen? Hier könnt ihr die TR 2/2023 bestellen.
Hasler ist einer von drei Dutzend Psychiatern in der Schweiz, die Psychedelika per Ausnahmeregelung vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit bei ausgewählten psychisch Erkrankten unter Aufsicht geben dürfen. Der halluzinogene Rausch soll eine bestehende Traumatisierung oder Depression eingebettet in eine Psychotherapie lösen. Die Drogen werden zu diesem Zweck auch bei Angsterkrankungen oder zur Suchtentwöhnung erforscht. Einer der diskutierten Mechanismen ist, dass sie den Betroffenen während des Trips in eine medikamentös stimulierte Achtsamkeit bringen.
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Inhaltsverzeichnis
- Medikamentös ins Hier und Jetzt?
- Boomende Psychedelika
- "Im Moment ist der Hype größer als die Ergebnisse"
- LSD gegen Depressionen
- Psychedelika statt Psychopharmaka
- Die dunkle Seite der Psychedelika
- Offene Fragen zur Behandlung bleiben
Medikamentös ins Hier und Jetzt?
Dazu hat Hasler auch ein Buch mit dem Titel „Higher Self – Psychedelika in der Psychotherapie“ vorgelegt. Darin postuliert er neben den neurobiologischen Effekten weitere Wirkmechanismen: Die Drogen bringen die Person ganz in das Hier und Jetzt, jedenfalls in ein medikamentös stimuliertes Sinneserleben. Hasler spricht von „Achtsamkeit“, obwohl es sich dabei ursprünglich um eine Geistesübung handelt, die ihre Wurzeln im Buddhismus hat. Dabei fokussiert man sich – im nüchternen Zustand – vollständig auf die momenthafte Wahrnehmung, ohne sie zu bewerten. In dem traditionellen Konzept wird der Gebrauch von Drogen als Ausdruck der Selbstentfremdung abgelehnt. Hasler vertritt dagegen den Standpunkt, dass die Erfahrung von Achtsamkeit unter Drogen Personen dazu bringen könne, diese auch im nüchternen Zustand zu üben.
Eine weitere Wirkung von Psychedelika sei Hasler zufolge der Helioskopeffekt: Frühere Traumata könne man unter der Droge anschauen, ohne ausgeprägte negative Gefühle und die Involviertheit, die das im nüchternen Zustand hervorruft. „Man schaut mit einer Brille vor den Augen in die Sonne, deshalb verbrennt man sich nicht“, veranschaulicht er. Die Psychedelika distanzierten die Person von ihrem Selbst. Deshalb ermöglichen sie eine Innenschau, in der man Einsichten über sich selbst gewinnen könne. Hasler gibt ein Beispiel: Vielleicht erkennt man, dass die Beziehung zur eigenen Mutter doch nicht so einseitig negativ war, wie man immer dachte. Allerdings, betont etwa der Erfinder der psychedelischen Therapie, Johnson, man könne nicht sagen, ob das Wiedererleben unter Droge wahr oder falsch sei. Er warnt gar vor einer entsprechenden Bewertung.
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All die beschriebenen Wirkeffekte sind bis dato kaum empirisch belegt. Eine mehrjährige Studie des Psychiaters Torsten Passie von der Medizinischen Hochschule Hannover bestätigt immerhin die vertiefte Selbsteinsicht und – wenig überraschend – mystischen Erlebnisse unter den Psychedelika. Zugleich offenbarte sie, dass die Substanzen nicht unerhebliche Belastungen wie zeitweilige Angstzustände, Realitätsverkennungen und Wahnideen mit sich bringen. „Das mahnt zur Vorsicht“, so Passies Fazit.
Boomende Psychedelika
Seit immer mehr Einzelfälle und Studien dokumentieren, dass psychedelische Drogen bei psychischen Erkrankungen helfen können, boomt die Forschung. Die synthetische Droge LSD – die einem Pilzgift im Getreide ähnelt –, Psilocybin aus Zauberpilzen und Meskalin, das aus dem Peyote-Kaktus gewonnen wird, gelten als mögliche Psychopharmaka der Zukunft.
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„Ich bekomme so zehn Anrufe am Tag“, erzählt Hasler. Aber in die klinischen Studien kann nur aufgenommen werden, wer sich in psychotherapeutischer Behandlung und in emotional stabiler Verfassung befindet. „Psychedelika eignen sich unserer Erfahrung nach gut, wenn die Psychotherapie festgefahren ist, die Betroffenen immer dasselbe erzählen und dabei recht abstrakt bleiben“, schildert er seine persönliche Erfahrung.
Für akute Notlagen eignen sich die Drogen dagegen nicht. Erst neulich hatte er die Beschäftigten einer großen Bank am Apparat. Das Finanzhaus drohe zu kollabieren und die Geschäftsführerin gleich mit. Könne da LSD nicht helfen? Hasler verneint. Die Geschäftsführerin sei ja total im Stress. Nur in einer stabilen Gemütslage könne sie die Erfahrung des Trips auch integrieren.
„Im Moment ist der Hype größer als die Ergebnisse“
Mit dieser Einschätzung ist Hasler auf seine Erfahrung angewiesen, denn publizierte Daten, wie und welchen exakten Personengruppen Psychedelika helfen könnten, stehen noch weitgehend aus. „Im Moment ist der Hype größer als die Ergebnisse“, bemerkt Franz Vollenweider, Psychiater an der Universität Zürich. In Summe sind geschätzte zwei Dutzend randomisierte klinische Studien zu LSD und Psilocybin publiziert. Von einer Zulassung oder gar einem Sprung in die Regelversorgung sind psychedelische Substanzen noch entfernt.
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Die Erwartung der Patienten ist dennoch oft immens, vielleicht auch, weil den verbotenen psychedelischen Drogen etwas Mystisches anhaftet. Hinzu kommen Einzelfallberichte von psychisch Erkrankten, die sich nach ihrem Trip als wundersam geheilt ansehen. Schon in den 50er- und 60er-Jahren erforschten Psychiater psychedelische Substanzen gegen verschiedene Seelenleiden. Statt sich in der Psychiatrie zu etablieren, wurden sie zur Partydroge der Hippiebewegung und landeten schließlich in der Anlage 1 des Betäubungsmittelgesetzes. Ihr Besitz und Erwerb ist seither nur für wissenschaftliche Zwecke und mit Genehmigung erlaubt.
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Die Forschung deutet gleichwohl durchaus auf ein therapeutisches Potenzial hin: Die mit Abstand größte Studie erschien im November 2022 im „New England Journal of Medicine“. 233 Probanden mit einer behandlungsresistenten Depression bekamen entweder ein Placebo oder einmalig Psilocybin. Das britische Startup Compass Pathways finanzierte die Untersuchung. In der höchsten Dosierung von 25 Milligramm gingen die depressiven Symptome, zu denen Niedergeschlagenheit und sozialer Rückzug gehören, bei 29 Prozent der Teilnehmenden zurück.
LSD gegen Depressionen
Die Resonanz auf die Studie war geteilt. Einerseits waren die Effekte weit weniger stark als in den vorangegangenen kleineren Erhebungen. Auf deren Grundlage hatte die US-Zulassungsbehörde Food and Drug Administration Psilocybin den Status eines Therapiedurchbruchs (breakthrough therapy) für Depressionen zuerkannt. Arzneikandidaten mit diesem Status können schneller zugelassen werden. Andererseits begrüßen Beobachter wie das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, dass Compass Pathways jetzt trotz der mäßigen Effekte eine Zulassungsstudie vorbereiten möchte.
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Die Wirkungen in den Studien mit LSD und Psilocybin ähneln sich: Nach dem Trip haben einige Patienten eine positivere Grundstimmung und mehr Freude am Leben. Negative Gedankenketten, die jede Depression kennzeichnen, werden seltener. Ein Befund, den auch MRT-Untersuchungen flankieren, die zeigen, dass etwa negative Reize unter dem Einfluss von LSD die Gefühlszentren nicht so sehr aktivieren.
Psychedelika statt Psychopharmaka
Psychedelika drängen mit der Verheißung in die Forschung, dass sie das Dilemma der Psychopharmaka überwinden könnten. Diese lindern bei manchen nach den ersten Wochen die Symptome einer Depression. Aber etwa 30 bis 40 Prozent der Menschen geht es trotz Medikamenten und Psychotherapie weiterhin nicht wirklich gut. Ihre Biografien durchziehen stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie und Rückfälle.
„Psychedelika wirken schnell. Das ist es, worauf sich alle im Moment stürzen“, sagt Vollenweider. Wirklich überraschend ist das aus pharmakologischer Sicht nicht, wenn doch die meisten Probanden den Trip als „beeindruckendste Erfahrung ihres Lebens“ beschreiben. Und ist es nicht sogar naheliegend, dass sich nach jeder Gipfelerfahrung, ob es die Besteigung des Mount Everest ist oder der erste LSD-Trip, die Niedergeschlagenheit unter dem tiefen Eindruck des Erlebnisses verflüchtigt?
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Die Forschung kann solche über den Horizont der Psychedelika hinausgehenden Fragen aktuell nicht beantworten. Sie hat aber erste Hinweise darauf gefunden, was nach einem halluzinogenen Trip im Gehirn passieren dürfte. In der Petrischale bilden Nervenzellen unter LSD und Psilocybin in kurzer Zeit und großer Zahl neue Zellfortsätze aus. Es entstehen neue Verknüpfungen zwischen den Zellen, Synapsen genannt. „Psychedelika wirken massiv neuroregenerativ“, sagt Matthias Liechti, klinischer Pharmakologe vom Universitätsspital in Basel. Beachtlich sei das hohe Tempo, mit dem das passiert. Besonders der Hippocampus und der präfrontale Cortex, die für das Bewerten, Planen, Entscheiden und Handeln zuständig sind, sind von der Erneuerung betroffen.
Die dunkle Seite der Psychedelika
Während bisherige Psychopharmaka das Gefühlsempfinden dämpfen, sodass Trauer, aber auch positive Gefühle verblassen, scheinen Psychedelika nach außen eine Verschiebung zur Fröhlichkeit zu bewirken. Darauf deuten nicht nur die bisherigen Studien hin, sondern auch die Daten zur psychischen Gesundheit von Menschen, auch gesunden, die Drogen nehmen. Die Personen sind durchschnittlich positiver gestimmt. Heiter zu sein, bedeutet aber nicht, dass der Kopf besser wird, wie Psychiater nur zu gut aus Erfahrungen mit Menschen wissen, die Drogen missbrauchen. Psychedelika wirken sich nachteilig auf die Kognition und das Reaktionsvermögen aus. Und einige Personen entwickeln sogar Psychosen. Als der Chemiekonzern Sandoz in den 50er-Jahren LSD auf den Markt brachte, beschrieb er die Aufgabe der Substanz so: Induktion von Modellpsychosen zum Studium der Schizophrenie.
Verfechter der psychedelischen Psychotherapie, die behaupten, das Risiko von Psychosen sei ein bloßer Mythos, scheinen vor dem Hintergrund wohl etwas voreingenommen. Psychedelika seien nicht für alle Patienten geeignet, erklärt Hasler. Wenn diese „emotional nicht so intelligent“ und „mental nicht so offen“ seien, wäre eine Behandlung mit den Stoffen nicht das Richtige. Menschen, die sich bei jeder Sinnesillusion, etwa wenn die Wolken auf einem Bild wanderten, beunruhigt fühlten, kämen mit Psychedelika nicht gut zurecht. Die riefen dann nach dem Trip an und sagten, die Wolken auf ihrem Bild würden wieder wandern. Ob das nicht eine „Halluzinogene Wahrnehmungsstörung durch LSD“ – und damit eine bekannte Folgeerkrankung psychedelischer Drogen – sei? „Das ist anstrengend“, quittiert Hasler.
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Offene Fragen zur Behandlung bleiben
Sorgen bereiten ihm unterdessen auch die Berichte über Therapeutenübergriffe aus den USA, die sogar unter Videoüberwachung aufgetreten seien. Therapeuten lägen in den Filmen neben halluzinierenden Patientinnen. „Natürlich sagen die Trippenden oft, sie fühlen sich so einsam“, erklärt Hasler. „Aber da braucht es klare Regeln, dass diese nicht berührt würden, es sei denn, sie brauchen medizinische Hilfe.“
Etliche Fragen sind also offen, ehe psychisch Kranke routinemäßig mit etlichen Trips behandelt werden können. Unklar ist bis dato auch, wie häufig LSD oder Psilocybin angewandt werden müssten, um den stimmungsaufhellenden Effekt aufrechtzuerhalten. In den ersten US-Studien an Krebspatienten mit Ängsten hielten die Wirkungen einige Monate bis höchstens ein Jahr an. Vollenweider erwartet, dass drei bis vier Behandlungen pro Jahr über längere Zeit nötig sind.
Die Pharmaindustrie sei nicht abgeneigt, sagt Liechti. Sie liefert den Schweizer Psychiatern schon heute die hochreinen Drogen in Arzneimittelqualität. Aber ein Medikament, nach dessen Einnahme ein Therapeut den Patienten viele Stunden überwachen muss, schreckt die Branche. Schon heute müssen Patienten viele Monate auf einen Termin beim Psychiater warten. Eine Therapie mit vielen Stunden Überwachung lässt sich bisher also allenfalls im stationären Bereich realisieren. Das wäre für die breite Versorgung zu personalintensiv. Das könnte sich ändern, wenn die nächste Generation der Psychopharmaka die vorteilhaften Wirkungen von LSD und Psilocybin ohne einen langen, belastenden Trip entfaltet. Der erste Schritt zu Achtsamkeit aus der Apotheke?
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Dieser Artikel stammt von der Journalistin Susanne Donner.
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